Digitaler Zwilling

Was ist ein digitaler Zwilling?

Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Darstellung eines Produkts, Prozesses oder Systems im Betrieb oder in der Entwicklung. Im Betrieb bildet ein digitaler Zwilling den aktuellen Zustand des Assets ab und enthält relevante historische Daten. Digitale Zwillinge kommen bei der Bewertung des aktuellen Zustands eines Assets und vor allem zur Vorhersage seines künftigen Verhaltens, zur Verfeinerung von Regelungssystemen oder zur Optimierung des Betriebs zum Einsatz. Während der Entwicklung dient der digitale Zwilling als Modell des zu entwickelnden Produkts, Prozesses oder Systems, das die Entwicklungs-, Test- und Validierungsabläufe vereinfacht.

Warum sind digitale Zwillinge wichtig?

Digitale Zwillinge ahmen das Verhalten ihrer physischen Pendants nach, um Unternehmen zu helfen, die Entwicklung, Erprobung und Validierung ihrer Produkte zu verbessern und zu beschleunigen. Sie unterstützen Betriebsoptimierung, Fehlerdiagnosen und Predictive Maintenance und ermöglichen so Kosteneinsparungen, mehr Zuverlässigkeit und bessere Kundenerlebnisse. Kommt ein digitaler Zwilling im gesamten Lebenszyklus eines Produkts zum Einsatz, können Unternehmen darüber hinaus die Wertschöpfungskette vom Konzept bis zur Außerbetriebnahme erheblich verbessern, indem sie eine positive Feedback-Schleife schaffen und für Verbesserungen sorgen, die Innovationen unterstützen, Kosten reduzieren, die Qualität steigern und gewährleisten, dass Produkte im Laufe ihrer gesamten Lebensdauer relevant und wertvoll bleiben.

Produktentwicklung

Vereinfachte Produktentwicklung: Digitale Zwillinge ermöglichen die Echtzeit-Simulation komplexer Systeme. So können Entwickler das Systemverhalten unter verschiedenen Betriebsbedingungen beobachten und anhand dessen die Systemreaktionen, den Energieverbrauch und die betriebliche Effizienz optimieren. Ebenso können damit die Entwürfe von Komponenten oder Subsystemen verfeinert und Regelungsstrategien entwickelt werden, um die angestrebten Leistungsniveaus zu erreichen, z. B. präzise Bewegungen, Stabilität und Reaktionszeit.

Krones entwickelt einen digitalen Zwilling eines Paket-Handlingroboters

Mithilfe von Simulink® und Simscape Multibody™ erstellte Krones einen digitalen Zwilling, der Entwurfsoptimierung, Fehlertests und Predictive Maintenance unterstützt. Die Ingenieure konnten die Leistung eines automatisierten Getränkeverpackungssystems steigern, indem sie einen dynamischen Tripod-Roboter in den Entwurf integrierten.

„Durch Simulationen des digitalen Zwillings in Simulink konnten wir Daten und Einblicke gewinnen, die mit Hardwaretests entweder unmöglich oder schlicht zu teuer und zeitraubend gewesen wären. Die Visualisierung von Kräften und Dynamiken vermittelte uns ein Verständnis der Auswirkungen einzelner Komponenten auf einen hochgradig dynamischen Roboter.“

Virtuelle Verifikation und Validierung: Mithilfe virtueller Nachbildungen physischer Produkte und Systeme in Form von digitalen Zwillingen können Sie Entwurfskonzepte validieren, ihre Leistung bewerten und potenzielle Probleme frühzeitig erkennen. Dieser Ansatz verringert die Notwendigkeit physischer Prototypen und verkürzt den Entwurfszyklus.

Schindler Elevator wechselt von physischen Tests zu Simulationen

Schindler Elevator integrierte kürzlich einen modellbasierten Validierungs-Workflow in seinen Entwicklungsprozess. Bei der EDEn (Elevator Dynamics Environment) handelt es sich um eine Reihe von Tools, die in MATLAB®, Simulink und Simscape™ entwickelt wurden und zur Durchführung von Offline-Simulationen mithilfe webbasierter Anwendungen und Hardware-in-the-Loop-Tests verwendet werden. Mit EDEn können Tests von Software-Releases, die früher drei oder vier Wochen dauerten, über Nacht durchgeführt werden. So werden Kosten und Risiken erheblich reduziert und gleichzeitig eine deutlich erweiterte Testabdeckung ermöglicht.

„Mit dem HIL-Ansatz [Hardware-in-the-Loop] können wir jetzt deutlich mehr Testfälle über Nacht abdecken. Ebenso verschiebt sich damit der Entwurfsschwerpunkt von der Absicherung vor Worst-Case-Szenarien zur Optimierung der Software für ihren typischen Einsatz.“

Virtuelle Inbetriebnahme: Digitale Zwillinge sind ein entscheidender Bestandteil der virtuellen Inbetriebnahme, da sie die umfassende Erprobung, Validierung und Optimierung von Systemen in einer virtuellen Umgebung ermöglichen. Dieser Ansatz reduziert Risiken und Kosten auf ein Minimum und gewährleistet einen reibungsloseren Übergang zur physischen Implementierung.

Virtuelle Sensorik: Mithilfe digitaler Zwillinge können Unternehmen ihre Abhängigkeit von physischen Sensoren reduzieren, vorausschauende Funktionen ermöglichen, die Platzierung von Sensoren optimieren und die Systemüberwachung und -leistung verbessern. So erzielen sie letztendlich Kosteneinsparungen und höhere Effizienz.

Betrieb und Wartung

Optimierung des Betriebs: Durch die Echtzeit-Abbildung des Status physischer Assets ermöglichen digitale Zwillinge Unternehmen nicht nur die Überwachung, sondern auch die dynamische Optimierung ihres Betriebs. Diese Optimierung umfasst verschiedene Aspekte – von der Verbesserung der Systemleistung über Energieeffizienz bis hin zur Zuweisung von Ressourcen. Mit einem digitalen Zwilling können Bediener verschiedene Betriebsszenarien betrachten, um die optimale Betriebsbedingung zu finden oder im Rahmen ihrer Einarbeitung zu lernen, wie sie in verschiedenen Fällen reagieren müssen.

Digitale Zwillinge einer Gasturbine für Leistungsdiagnosen und -optimierung

Siemens Energy entwickelte mithilfe von MATLAB und Simulink einen physikbasierten digitalen Zwilling, der mithilfe eines Testsystem-Prototyps und mit Flottendaten validiert wurde. Die Ingenieure verteilten die Funktionen des digitalen Zwillings auf verschiedene Computing-Plattformen – Embedded, Edge-, Cloud- und Remote-Überwachungssysteme. Simulink Coder™ und Simulink Compiler™ sorgten dafür, dass die Bereitstellungen wenig oder gar keine manuelle Codierung erforderten. Durch die Erstellung eines digitalen Zwillings seines Systems konnte Siemens Energy die Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Wartungsfreundlichkeit seiner Gasturbine verbessern, ihren Betrieb optimieren, die Kosten senken und die Lebensdauer verlängern.

Predictive Maintenance: Anhand der Betrachtung des Zustands jeder Komponente oder des Gesamtsystems kann der digitale Zwilling feine Muster und Anomalien erkennen, die auf einen potenziellen Ausfall hindeuten können, und vorhersagen, wann voraussichtlich eine Wartung oder ein Austausch erforderlich sein wird. Mithilfe dieser Einblicke können Sie Wartungsvorgänge für den günstigsten Zeitpunkt einplanen, ungeplante Ausfallzeiten vermeiden und die Nutzung von Wartungsressourcen optimieren.

Digitaler Zwilling als Erweiterung von Model-Based Design

Model-Based Design bezeichnet den systematischen Einsatz von Modellen im gesamten Entwicklungsprozess und verbessert die Bereitstellung komplexer Systeme. Model-Based Design bildet eine robuste Grundlage für digitale Zwillingsanwendungen. Model-Based Design und digitale Zwillingsmethoden gehen während der Produktentwicklungsphase eine Art Symbiose ein. Viele Szenarien, in denen digitale Zwillinge zum Einsatz kommen, sind auch Anwendungsfälle für Model-Based Design.

Die Kombination von digitalen Zwillingen und Model-Based Design kann für OEMs besonders vorteilhaft sein. Liegt der Schwerpunkt von Model-Based Design in erster Linie auf der Produktentwicklungsphase, ermöglichen digitale Zwillinge es OEMs, den Umfang auszuweiten, indem sie digitale Produkte oder Services anbieten, die den Betrieb und die Wartung bei ihren Kunden unterstützen und bereichern. So können sie nicht nur physische Produkte entwickeln und herstellen, sondern auch eine Suite von digitalen Tools bereitstellen, die den Nutzen dieser Produkte in ihrem gesamten Lebenszyklus steigern. Der digitale Zwilling verbindet das physische Produkt mit seinem digitalen Pendant und ermöglicht Echtzeit-Überwachung, Predictive Maintenance und eine Optimierung des Betriebs.

Atlas Copco minimiert die Betriebskosten durch Simulation und digitale Zwillinge

Atlas Copco integriert Simulationen und Datenanalysen von der Entwicklung über die Produktion bis hin zum Vertrieb und Service. Dabei kommen digitale Zwillinge als Single Source of Truth zum Einsatz und MATLAB und Simulink werden für die Entwicklung der Model-Based-Engineering-Plattform des Unternehmens verwendet. Diese Plattform bietet Vertriebsingenieuren Zugang zu zuverlässigen Leistungssimulationen. So erhalten Kunden letztendlich maßgeschneiderte Produkte. Aktuelle Modelle der Kompressoren von Atlas Copco sind mit bis zu 50 Sensoren ausgestattet, die sie auf Predictive Maintenance vorbereiten, und die Serviceabteilung kann auf der Grundlage der Echtzeit-Datenerfassung von mehr als 100.000 im Einsatz befindlichen Maschinen kundenspezifische Wartungsstrategien formulieren. Daraus entstehen umfangreiche Einblicke, mit denen sich das Unternehmen jetzt ausführlich befassen kann.

Workflow für digitale Zwillinge

Trotz der vielfältigen Anwendungsfälle für digitale Zwillinge gibt es einige zentrale Strategien, die sie nutzen können, um den Erfolg Ihrer digitalen Zwillingsprojekte zu gewährleisten. Bei diesen Strategien dreht sich alles um ein konsistentes Framework aus der Definition klarer Ziele, dem Entwurf und der Validierung von Modellen und deren effektiver Bereitstellung sowie ihrer Wartung mit kontinuierlicher Überwachung und konstanten Updates.

Schritt 1: Bestimmung des Ziels und des Umfangs

Die Einführung einer erfolgreichen digitalen Zwillingsanwendung beginnt mit Klarheit darüber, was Sie erreichen möchten. Fragen Sie sich: Was ist der Zweck Ihres digitalen Zwillings? Soll er die Produktentwicklung unterstützen, bei der Diagnose von Anlagenproblemen helfen, den Betrieb optimieren oder Simulationen für Schulungszwecke bereitstellen?

Definieren Sie als Nächstes den Umfang des digitalen Zwillings. Soll Ihr digitaler Zwilling eine einzelne Komponente, eine Reihe von Komponenten, die ein Subsystem bilden, oder das Gesamtsystem darstellen? Und soll er eine einzige Funktion oder mehrere Zwecke erfüllen? Diese frühzeitigen Entscheidungen bestimmen die Komplexität und Ausrichtung Ihres Projekts.

Schritt 2: Entwurf und Entwicklung

Die Erstellung eines digitalen Zwillings verlangt nach einem durchdachten Ansatz. Dieser hängt von Ihrer Erfahrung, Ihren bevorzugten Methoden sowie meistens auch davon ab, was Ihnen zur Verfügung steht. Bei einem komplett neuen Produktentwurf muss man aufgrund fehlender Test- oder Betriebsdaten häufig mit physikbasierter Modellierung beginnen, die anhand der physikalischen Gesetze ein Framework für den Zwilling bildet. Sind ausreichend Daten verfügbar, kann ein datenorientierter oder KI-basierter Ansatz herangezogen werden, der mithilfe von Machine Learning oder Deep Learning Ergebnisse und Verhaltensweisen prognostizieren kann. Berücksichtigen Sie auch bereits vorhandene Modelle oder Daten, die umfunktioniert werden könnten, um die Entwicklung des digitalen Zwillings zu beschleunigen – schließlich müssen Sie das Rad nicht jedes Mal neu erfinden.

Schritt 3: Tests und Validierung

Haben Sie Ihren digitalen Zwilling einmal entwickelt, muss er einen rigorosen Test- und Validierungsprozess durchlaufen. In dieser Phase wird die Vertrauenswürdigkeit des digitalen Zwillings aufgebaut, indem bewertet wird, wie genau er sein physisches Pendant abbildet. Ebenso müssen Sie die Genauigkeit seiner Prognosen und Simulationen messen. Und genauso wichtig ist es, die Risiken zu verstehen, die durch Entscheidungen entstehen, die Sie aufgrund von mithilfe des Zwillings gewonnenen Einblicken getroffen haben. Letztendlich müssen Sie sicherstellen, dass der digitale Zwilling nicht einfach ein ausgeklügeltes Modell ist, sondern ein zuverlässiges Instrument für praktische Anwendungen.

Schritt 4: Bereitstellung und Integration

Nach der Validierung Ihres digitalen Zwillings können Sie ihn bereitstellen. Die Bereitstellungsstrategie sollte sich am vorgesehenen Einsatz des Zwillings orientieren – ob er direkt vor Ort mit seinem physischen Pendant verbunden ist, mithilfe von Edge Computing von Nähe und reduzierter Latenzzeit profitiert oder die Cloud mit ihren umfangreichen Rechenressourcen und ihrer Skalierbarkeit nutzt.

Schritt 5: Überwachung und Aktualisierung

Mit der Bereitstellung ist es bei einem digitalen Zwilling nicht getan. Kontinuierliche Überwachung ist erforderlich, um sicherzustellen, dass der Zwilling sein physisches Pendant konsequent präzise darstellt. Durch die Definition von Leistungsmetriken und eine regelmäßige Validierung des Zwillings anhand realer Daten können Sie seine Integrität gewährleisten. Darüber hinaus muss der digitale Zwilling im Laufe der Zeit vermutlich weiterentwickelt werden. Daher benötigt er Mechanismen für die Feinabstimmung seiner Parameter oder einen vollständigen Neuaufbau seines Modells, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden. Diese Anpassungsfähigkeit ist entscheidend für die Langlebigkeit und Nützlichkeit des digitalen Zwillings.

Digitale Zwillinge mit MATLAB und Simulink

MATLAB und Simulink bieten eine umfangreiche Plattform für die Erstellung, Simulation, Verifikation und Implementierung digitaler Zwillinge. Die kombinierten Stärken bei physikbasierter Modellierung, komplexen Datenanalysen und KI sowie unkomplizierte Bereitstellungsoptionen (SPS, eingebettet, Web, Cloud usw.) ermöglichen Ihnen die Entwicklung digitaler Zwillinge, die das Verständnis, den Betrieb und die Wartung komplexer physikalischer Systeme verbessern.

Simscape ermöglicht Ingenieuren die schnelle Erstellung von Modellen physikalischer Systeme in der Simulink-Umgebung. Sie können Systeme wie beispielsweise Elektromotoren, Brückengleichrichter, hydraulische Aktoren und Kühlsysteme modellieren, indem sie die grundlegenden Komponenten zu einem Schaltplan zusammensetzen. Mit Add-on-Produkten für Simscape können Sie komplexere Komponenten und Systeme modellieren und analysieren.

Was die datenorientierte Seite betrifft, bietet MATLAB eine umfassende Reihe von Tools für Statistik, Machine Learning, Deep Learning und Systemidentifikation. Mithilfe dieser Tools können Ingenieure datenorientierte digitale Zwillinge entwickeln, um Muster zu erkennen, die Leistung zu optimieren, den Wartungsbedarf zu prognostizieren und vieles mehr. Die nahtlose Integration dieser datenorientierten digitalen Zwillinge mit physikbasierten digitalen Zwillingen bietet Ihnen einen ganzheitlichen Überblick über die Systemleistung und potenzielle Probleme.

Validierung und Verifikation sind wichtige Schritte, um sicherzustellen, dass der digitale Zwilling sein physisches Pendant genau abbildet und die erwartete Leistung erreicht. Wenn Ingenieure den Verifikations-Workflow mit hoher Integrität befolgen, können sie mithilfe simulationsbasierter Tests und statischer Analysen Mängel erkennen, die Markteinführungszeit verkürzen und hohe Qualitätsstandards gewährleisten.

MATLAB und Simulink bieten vielseitige Bereitstellungsoptionen, die die Implementierung in SPS, industriellen Steuerungen, eingebetteten Systemen, Webplattformen und der Cloud unterstützen. Diese Flexibilität ermöglicht die Integration des digitalen Zwillings in bestehende Workflows und Infrastrukturen und somit die Echtzeit-Überwachung, Predictive Maintenance und Betriebsoptimierung in verschiedenen Umgebungen. Letztendlich wird der Nutzen eines digitalen Zwillings durch seine Implementierung verwirklicht. Mithilfe der gewonnen Einblicke und Prognosen können die Beteiligten begründete Entscheidungen treffen und einen hervorragenden Betrieb gewährleisten.