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Lockheed Martin entwickelt ein Werkzeug zur 3D-Visualisierung von Antennencharakteristiken

Von Michael Hicks, Lockheed Martin Space Systems Company


Ein weltraumgestütztes System kann nach Einsatzbeginn praktisch nicht mehr gewartet werden. Seine Kommunikationssysteme müssen daher strikte Anforderungen bezüglich Verfügbarkeit und Qualität der Verbindungen erfüllen. Entwurf und Analyse der eingesetzten Antennen sind daher von zentraler Bedeutung für die Qualitätssicherung.

Ingenieure analysieren die Gewinncharakteristik von Antennen, um deren räumliche Sendeabdeckung zu bestimmen und zu ermitteln, wie diese durch Wechselwirkung mit der Trägerstruktur beeinflusst wird. Ist eine Antenne beispielsweise neben einer Schubdüse, einem Sonnensegel oder einem Ausleger angebracht, können diese Bauteile die abgestrahlte Sendeenergie reflektieren und so Übertragungslücken verursachen.

Die konventionelle Analyse von Antennencharakteristiken stützt sich auf zweidimensionale Schnitte durch ein ursprünglich dreidimensionales Muster. Dieser Ansatz birgt jedoch einige Nachteile. Schnitte, die lediglich durch die Hauptachsen verlaufen, können wichtige Merkmale verfehlen, während Schnitte mit höherer Dichte sich nur schwer interpretieren lassen.

Mit den grafischen Funktionen und Werkzeugen zum Aufbau von GUIs in MATLAB entwickelten Ingenieure bei Lockheed Martin den Three Dimensional Visualizer, kurz 3DV. Diese Anwendung ist eine Umgebung zur simultanen Analyse der zwei- und dreidimensionalen Gewinncharakteristik von Antennen. Das Programm hat den Zeitaufwand für Analysen verkürzt und erleichtert erheblich die Veranschaulichung der erhaltenen Ergebnisse gegenüber Kunden.

Die Entwickler arbeiten zwar an weltraumgestützten Systemen; das Prinzip der Antennencharakteristikanalyse ist aber bei luft- und seefahrttechnischen oder terrestrischen Anwendungen identisch. Genau genommen kann 3DV zur Untersuchung jeder Information genutzt werden, die sich in Form richtungsabhängiger Skalarwerte darstellen lässt, also auch für optische, thermische oder Radarsignaturen.

Antennenanalyse bei der Lockheed Martin Space Systems Company

Die Analyse von Charakteristikdaten begleitet bei Lockheed den gesamten Zyklus eines Projekts. In den Frühstadien vergleichen die Entwickler theoretisch erzeugte Charakteristiken geeigneter Antennenkonstruktionen mit den Anforderungen sowie untereinander. Während des Prototyping werden empirische Antennendaten aus so genannten Range Tests mit den erwarteten Abstrahlmustern verglichen. In der Entwurfsphase modellieren die Ingenieure die Wechselwirkung der Antenne mit der physikalischen Struktur des Raumfahrzeugs, um verschiedene Montagevarianten zu vergleichen oder die Auswirkung anderer Konstruktionsänderungen auf die Antennencharakteristik zu ermitteln.

In abschließenden Tests werden die empirischen Charakteristiken aus Range Tests mit dem gesamten Raumfahrzeug bezüglich der Anforderungen verifiziert. Entscheidend bei all diesen Analysen sind eine kurze Bearbeitungszeit sowie die Möglichkeit, die Ergebnisse einem multidisziplinären Entwicklerteam verständlich zu vermitteln.

Obwohl die verwendeten Werkzeuge und Modellierungsfähigkeiten sehr ausgereift sind, dauern einige Analysen zu lange, um in den wichtigen Frühphasen eines Programms eingesetzt zu werden, und nur wenige Ingenieure können sie durchführen. Das Team beschloss daher zu untersuchen, inwieweit 3D-Visualisierungen mit grafischen MATLAB-Funktionen eine Hilfestellung bieten können.

Entwicklung des MATLAB-basierten Werkzeugs

Die ersten Visualisierungen wurden mit Kommandozeilen-Skripten und -Funktionen erstellt. Mit wachsendem Bedarf an solchen Darstellungen wurde ein internes Forschungs- und Entwicklungsprogramm ins Leben gerufen, dessen Grundgerüst mit dem GUIDE-Tool aus MATLAB erstellt wurde. Die Anwendung besteht aus einem GUI mit einem 2D- und einem 3D-Teil (Abb. 1). Ein im Pulldown-Menü ausgewähltes Abstrahlmuster erscheint im 3D-Fenster des GUI als Grafikobjekt aus einzelnen Oberflächenelementen. Eine Ebene oder ein Kegel zeigt an, wo der zweidimensionale Schnitt geführt wird. Dieser Schnitt wird auf Basis der in gleichmäßigen Abständen gerasterten 3D-Daten zunächst interpoliert und dann im 2D-Fenster angezeigt.

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Abb. 1: Das 3DV-GUI. Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Die 3D- und 2D-Umgebungen sind direkt miteinander verknüpft und interaktiv. Der Anwender kann das 3D-Muster greifen und es mit der Maus oder den Bedienelementen des GUI in jede gewünschte Richtung drehen. Bei jeder dieser Bewegungen im 3D-Fenster wird die 2D-Anzeige aktualisiert, während eine Drehung der 2D-Darstellung den Schnitt dreht. Legenden, beschriftete Vektoren, Hervorhebung bestimmter Gewinnwerte und andere Indikatoren können nach Wunsch angezeigt oder ausgeblendet werden.

Das Tool bietet verschiedene Darstellungsweisen, die die Interpretation und Erklärung der Merkmale einer Charakteristik erleichtern (Abb. 2). Die Stärke des Gewinns kann beispielsweise als Funktion der Entfernung vom Koordinatenursprung dargestellt werden, wodurch Spitzenwerte, Lücken und Bereiche mit Störungen unmittelbar ins Auge fallen. Zur Bestimmung der tatsächlichen Winkelausdehnung von bestimmten Merkmalen projiziert das Programm den Gewinn farbcodiert auf eine Kugeloberfläche. Stellt man dabei Gewinnwerte oberhalb und unterhalb einer gewissen Schwelle in unterschiedlichen Farben dar, wird sofort sichtbar, in welchen Richtungen eine Kommunikationsverbindung prinzipiell möglich ist. Einen Überblick über die Charakteristik als Ganze erhält man mit einer Mercatorprojektion.

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Abb. 2: Vier Darstellungen des gleichen Musters. Von links nach rechts: Gewinn als Funktion des Abstands vom Ursprung; Farbcodierung des Gewinns auf einer Kugeloberfläche; Kugel mit binärer Farbcodierung für Richtungen mit/ohne Kommunikationsverbindung; 2D-Projektion. Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Kommerzielle Programmpakete boten zwar auch einen Teil dieser Funktionalität, ließen sich aber nicht in ausreichendem Maß hinsichtlich der steigenden Anforderungen erweitern. Die MATLAB-Anwendung dagegen lässt sich je nach den Erfordernissen anpassen. Beispielsweise nutzen unterschiedliche Arbeitsgruppen verschiedene Datenformate, von denen viele nur von einer Person oder als Ausgabeformat bestimmter Prüfstände oder Softwarepakete verwendet werden. Das MATLAB-Programm wurde mit einer Unterstützung für viele dieser Nischenformate ausgestattet und um von Projektteams angefragte Funktionen erweitert – etwa die prozentuale Himmelsabdeckung für ausgewählte Raumwinkel, die Möglichkeit zur Aufsummierung oder Zusammenfassung von Mustern und um neue Ausgabefunktionen wie editierbare Grafikobjekte.

Implementierung der Funktionen

Die in MATLAB vorhandenen, hochentwickelten mathematischen Funktionen, Grafikfähigkeiten und Möglichkeiten zur Steuerung von GUIs erleichterten die Entwicklung dieses Funktionsumfangs erheblich. So wurde die 3D-Rotation der Muster mit Hilfe der ButtonDownFcn-Eigenschaft realisiert, die sowohl für das 3D-Objekt als auch für die GUI-Grafik festgelegt werden können. Ein Klick auf das 3D-Objekt oder andere Grafikobjekte führt Funktionen aus, die Flags in der Struktur der GUI-Handles setzen. Logische Elemente in der Funktion WindowButtonMotionFcn – sie wird ausgelöst, sobald man einen Knopf an der Maus drückt und diese dann über das GUI zieht – greifen auf diese Flags zu, woraufhin die gewünschte Aktion ausgeführt wird.

Eine Beispielanalyse

Bei einer kürzlich durchgeführten Analyse sollte der optimale Ort für die Telemetrieantenne am Achterdeck eines Satelliten bestimmt werden. Zusammen mit einer anderen Antenne am gegenüberliegenden Deck sollte das Telemetriesystem den Himmel so weit abdecken, dass eine Kommunikation mit dem Satelliten auch dann möglich ist, wenn er seine Fluglage gerade verändert oder die Lageregelung sogar ganz ausgefallen ist. Die Herausforderung bestand in der Ermittlung der geringsten Antennenhöhe, die die Abdeckungsanforderungen der Mission erfüllte. Je höher die Antenne angebracht ist, umso größer wäre zwar ihre räumliche Abdeckung, gleichzeitig stiege aber auch die Gefahr der Überhitzung durch die Abgase einer Schubdüse. Bei geringerer Höhe dagegen vergrößerte sich die Abschattung durch eine benachbarte Batterie (Abb. 3).

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Abb. 3: Ein Beispielproblem zur Antennenanalyse. Die Zahlen 1, 2 und 3 markieren die getesteten Antennenhöhen. Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

In der Visualisierung mit 3DV war der Abschattungseffekt durch die Batterie sofort erkennbar (Abb. 4).

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Abb. 4: Musterabdeckung über einem minimalen Gewinnwert für verschiedene Montagehöhen der Antenne. In den rot markierten Bereichen reicht der Gewinn für eine Verbindung nicht aus. Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Anhand ausgewählter Schnittflächen auf Basis des 3D-Modells ließen sich die quantitativen Unterschiede genauer untersuchen. Schließlich konnten die Ingenieure so die eigentlich interessante Größe grafisch darstellen: den Himmelsausschnitt, der bei oder über einem Mindestgewinn sichtbar ist (Abb. 5).

Ohne das neue Werkzeug hätte eine solche Tradeoff-Analyse Wochen dauern können. Mit 3DV dagegen konnte schnell ermittelt werden, dass die mittlere Antennenhöhe eine akzeptable Leistung erbrachte. Die Entscheidung dazu konnte in nur einer einzigen Sitzung fallen.

Anwendung der Analyseergebnisse

Die Software wurde mittlerweile in einer Reihe von Programmen und Konzepten bei Lockheed unterstützend eingesetzt. Zu den Projekten, bei denen mit der Charakteristikanalyse Positionen und Montagedetails von Antennen oder die Einhaltung von Anforderungen überprüft wurden, gehören das Space-Based Infrared System, das Advanced Extremely High Frequency System, das Mobile User Objective und das Crew Exploration Vehicle. Andere Teams nutzen 3DV für den Mars Phoenix Lander und weitere Programme. Das Tool hat sich außerdem bei der Entscheidungsfindung zu Alter­nativentwürfen in einer Virtual-Reality-Umgebung bewährt. Bei diesem Projekt wurde ModelCenter eingesetzt, eine Drittanbieter-Software, die den Datenfluss in komplexen Analysen steuert, und MATLAB, Daten-Tabellen sowie bestehenden FORTRAN-Code integriert. 3DV wächst mit den Bedürfnissen seiner Entwickler stetig weiter. Zu den für die Zukunft geplanten Verbesserungen gehören zusätzliche Möglichkeiten zur Kombination und zum Vergleich von Mustern, weitere Animationsformate und Hilfen zur Bearbeitung umfangreicher Datensätze.

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Abb. 5: Erläuternde, vergleichende und quantifizierende Visualisierung von Analysenergebnissen (von oben nach unten). Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Veröffentlicht 2007 - 91482v00

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